Geschichte und Namen. Wilde Tomatenarten kommen laut Udelgard Körber-Grohne («Nutzpflanzen in Deutschland», S. 314) nur in der Karibik und im nördlichen Südamerika vor. Heute sollen noch vier Arten bekannt sein. Eine davon kreuzte in Venezuela auch den Weg von Alexander von Humboldt, der sie dem Botaniker Carl Ludwig Willdenow nach Berlin sandte, wo sie den Namen Solanum humboldtii bekam. Die Kulturtomate stammt möglicherweise aus dem heutigen Mexiko. Im Tehuacan-Tal südöstlich von Mexiko-Stadt fand man Tomatensamen in Höhlenschichten aus der Zeit zwischen 200 v. Chr. und 700 n. Chr. (Körber-Grohne, S. 315). Auf jeden Fall waren es Indios, die Wildtomaten in Kultur überführt haben. Wildtomaten und auch die zahlreichen alten Landtomatensorten in Mittel- und Südamerika stellen eine wichtige Genreserve dar – sind sie doch weniger anfällig für Krankheiten, die hochgezüchtete Kulturtomaten bedrohen (Pilze, Viren, Bakterien, Insekten). Laut Allan Davidson («Oxford Companion to Food», Kapitel Tomato) gibt es keinen Grund anzunehmen, dass auch Wildtomaten je auf dem Speiseplan der Indianer Mittelamerikas gestanden haben.
Auch die Azteken kultivierten Tomaten und nannten sie xitomatl – aus diesem Wort entwickelte sich das Wort Tomate, auf Basis eines kleinen Missverständnisses allerdings, das Allan Davidson wie folgt beschreibt: «A linguistic confusion occurred as the tomato was domesticated by the Aztec. The Aztec word tomatl meant simply plump fruit. For them, our edible tomato was xitomatl, while the husk tomato (tomatillo) was miltomatl. Spaniards, not understanding the importance of the suffix in each name, used tomatl, which they turned into tomate, for both.» Obwohl die Eroberer der neuen Welt das Wort tomatl offenbar aufnahmen, soll sich der Name Tomate laut Andreas Speicher («Buch der Tomaten», S. 21) erst im 19. Jahrhundert durchgesetzt haben.
Die Tomate kam mit Kolumbus nach Europa – er brachte sie allerdings erst auf seiner zweiten Reise mit, wie Andreas Speicher (S. 16) weiss. Also muss er sie auf den Bahamas, Kuba oder Hispaniola gefunden haben. Von Spanien, wahrscheinlich von dem Handelszentrum Sevilla aus, gelangte die Tomate bald auch in das damals spanische Neapel. Von dort aus geriet sie 1544 (nach anderen Quellen 1554) auch in die Hände des italienischen Kräuterheilkundigen Pietro Andrea Matthioli, der sie beschrieb und ihr den lateinischen Namen Mala aurea sowie den italienischen Pomi d'oro gab (wahrscheinlich hatte Matthiolo eine gelbe Sorte in die Finger bekommen). Wie mit so mancher Pflanze aus der Neuen Welt verband man auch mit der Tomate grosser Erwartungen – und also bekam sie bald Namen wie Pomme d'amour im Französischen oder Love apple im Englischen. Früh schon konnte man die Pflanze den Nachtschattengewächsen zuordnen und gab ihr den wissenschaftlichen Namen Solanum pomiferum – eine Zuordnung, die Carl von Linné später bestätigte, welcher der Tomate ihren heutigen Namen Solanum lycopersicum gab.
Die frühesten Abbildungen von Tomatenpflanzen stammen aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. 1553 etwa realisiert Georg Oelinger aus Nürnberg einen farbig kolorierten Holzschnitt, der eine Tomatenpflanze mit grossen Früchten zeigt. Die Tomate wurde indes vorerst nur als Zierpflanze in Gärten gezogen. Als erste dürften die Italiener ihren kulinarischen Nutzen entdeckt haben – wahrscheinlich gegen Ende des 16. Jahrhunderts. Körber-Grohne (S. 316) gibt einen Kommentar von Joachim Camerarius aus dem Jahr 1586 wieder: «Amoris poma (Liebesapfel) oder Goldäpfel (Poma aurea): In Welschland [Italien] pflegen diese Früchte etliche zu essen mit Pfeffer, Oel und Essig gekocht, aber es ist ein ungesunde Speiss, und die gantz wenig nahhrung geben kann.» Sehr verbreitet kann die Sitte des Tomaten-Essens damals noch nicht gewesen sein – denn Giacomo Castelvetro erwähnt die Frucht in seinem 1614 verfassten Buch über die Früchte, Kräuter und Gemüse Italiens mit keinem Wort.
Das früheste Rezept, das Tomate verwendet, stammt laut Elizabeth David («Italian Food», Kapitel Some Italian Cookery Books) von dem vor allem für seine Leistungen auf dem Gebiet des Speiseeises berühmten Antonio Latini und wurde 1692 in seinem «Lo Scako alia moderna» veröffentlicht. In ihrem Aufsatz «Mafalda, Giovanna, Giulia» beschreibt und übersetzt Elizabeth David das Rezept (publiziert in: «An Omelette and a Glass of Wine») wie folgt: «He [Latini] called his recipe «Salsa di Pomodoro, alla Spagnuola». Half a dozen ripe tomatoes were to be roasted in the embers and diligently skinned, then finely chopped with onions a discretione, also minutely chopped, pepper and creeping thyme or piperna1 in small quantity. ‹Mix all together, season it with a little salt, olive oil, vinegar, and it will make a most excellent sauce for boiled meats, or other.› The basis, it will be seen, of the modern Spanishgazpacho.»
Das übrige Europa stand der Tomate aber noch lange skeptisch gegenüber – als Zierpflanze oder ev. als Aphrodisiakum ja, doch als Speise? Die Zurückhaltung hatte sicher auch damit zu tun, dass Tomaten nördlich der Alpen weniger leicht angebaut werden konnten als im Süden. Laut «Wikipedia» (Abfrage vom 14. August 2014) war die Tomate im 19. Jahrhundert noch so exotisch, dass sie auf der Wiener Weltausstellung von 1873 als Kuriosum vorgeführt wurde. Spätestens Ende des 19. Jahrhunderts aber war die Tomate dann zumindest in der österreichischen Küche angekommen. Allerdings wurden sie offenbar vorsichtshalber doch nur in gekochter Form verzehrt – so schreibt denn etwa das «Appetit-Lexikon» (S. 527): «In Spanien verspeist man die Tomate sogar roh, indem man sie in horizontaler Richtung in der Mitte zerschneidet und dann beide Hälften mit Salz bestreut.»
Von Süden her eroberte die Tomate allmählich auch die Gärten des Nordens: «Seit den dreissiger Jahren pflanzte aber wohl jeder, der einen Garten besass, auch Tomaten an.» schreibt Körber-Grohne (S. 316, 317). So richtig begann die Karriere des Liebesapfels in den deutschsprachigen Ländern aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg.
Von Europa aus gelangte die Tomate auch nach Nordamerika – offenbar vor allem mit den Amischen, wie Andreas Speicher (S. 19, 20 ) in einem interessanten Passus erzählt: «Die Amischen haben ihre Wurzeln in der Täuferbewegung des 16. Jahrhunderts. 1693 spalteten sie sich von den Mennoniten ab und gründeten eigene Siedlungen. Der Name Amisch entwickelte sich aus dem des bernischen Gemeindeleiters Jakob Ammann aus Erlenbach im Simmental, der sich von den Mennoniten trennte, weil diese die neue protestantische Glaubensrichtung zu wenig streng auslegten. Jakob Ammann trat 1679 als 35-Jähriger den Täufern bei und wurde 1680 nach einer erfolglosen Massregelung durch die Berner Behörden im gleichen Jahr aus der Schweiz verbannt. Er liess sich im toleranteren Elsass nieder. Während rund 200 Jahren lebten die Amischen vor allem in Frankreich. – Im 19. Jahrhundert wanderten viele Amische nach den USA aus. Es ist nur eine Annahme, dass sie ihre sämtlichen Sämereien mitgenommen haben, wollten sie doch unbearbeitetes Land kultivieren. Damals wurden die Tomaten in Europa allmählich salonfähig. – In den Sortenporträts wird immer wieder von amischen oder mennonitischen Züchtungen die Rede sein. Dies stützt die Annahme, dass sehr viele Sorten, die schon vor 50er Jahren in den USA für Furore sorgten, eine europäische Vergangenheit haben. Da die Täufer vor allem aus der Schweiz, dem Elsass, aus Süddeutschland und der Pfalz kamen, kann man aus erweiterter Sicht von deutschen, französischen und schweizerischen Sorten reden.»
Heute ist die Tomate das vermutlich erfolgreichste Gemüse überhaupt – in der Weltproduktion auf jeden Fall stehen laut Körber-Grohne (S. 317) Tomaten mit 50.4 Millionen Tonnen jährlich an erster Stelle des Gemüseanbaus.
Pflanze. Die Tomate ist eine ein-, zwei oder mehrjährige krautige Pflanze. Sie wächst zunächst aufrecht, um sich dann kriechend weiter zu entwickeln. Die Stängel sind am Ansatz rund 1 cm dick und behaart (längere Haare haben drüsige Spitzen und sondern einen Duft ab). Die Blätter sind gefiedert, asymmetrisch und beidseits leicht behaart. Die Blütenstände sind bis 10 cm lang und bestehen aus bis zu fünfzehn Blüten. Die Knospen sind 5 bis 10 m lang und bilden eine fünfeckige, leuchtend gelbe Blütenkrone aus. Aus diesen Blüten entstehen Früchte, die sehr unterschiedlich gross und schwer sein können – das Spektrum reicht von weniger als 10 g pro Frucht bis zu mehr als 1 kg. In der Regel sind die Früchte rundlich bis oval und meist etwas abgeflacht. Sie sind wenigstens zwei-, meistens mehrkammrig. Die Farben können sehr unterschiedlich sein, von beinahe weiss bis fast ganz schwarz reicht das Spektrum. Je nach Sorte enthalten die Früchte ganz wenige Samen nur oder aber sehr viele.
Ob die Tomate nun ein Gemüse ist oder ein Obst, mag auch der Tomaten-Experte Andreas Speicher («Buch der Tomaten», S. 12) nicht entscheiden – ist die Unterscheidung zwischen Obst und Gemüse doch nicht einfach. In Europa und Amerika wird die Frucht jedenfalls eher als ein Gemüse angeschaut – in Asien aber eher als Obst, jedenfalls liegt sie in den Hotels stets mit auf den Früchteschalen aus – neben Birne, Breiapfel und Passionsfrucht.
Produktion. Seit den 1950er Jahren hat die Beliebtheit der Tomate ständig zugenommen. Entsprechend grossflächig werden sie angebaut, oft das ganze Jahr hindurch, in Treibhäusern und meistens in Hors-Sol-Kultur (zum Beispiel in Holland oder in den riesigen Plantagen von Almeria im Süden von Spanien). Die Optimierung des Tomaten-Anbaus hat insgesamt dazu geführt, dass die Früchte schöner aussehen, regelmässiger wachsen, sich leichter transportieren lassen, weniger anfällig sind für gewisse Schädlinge und Krankheiten – dafür aber auch oft gar kein Aroma haben.
Die Fortschritte im Anbau haben aber auch ein paar andere Nebeneffekte provoziert. Eine besondere Geschichte ist jene der Hummeln («Wikipedia», Abfrage vom 14. August 2014). Bis in die 1980er Jahre hinein nämlich musste man die Tomaten-Pflanzen im Treibhausanbau manuell bestäuben. 1985 experimentierte der belgische Tierarzt Roland de Jonghe mit Erdhummeln und fand heraus, dass sie sich in der Gefangenschaft eines Treibhauses halten lassen und die Pflanzen bestäuben. 1987 gründete De Jonghe eine Firma mit dem Namen «Biobest», die bald Hummelnester in die halbe Welt verschickte. Die Bestäubung von Tomaten mit der Hilfe von Hummeln wurde zu einem Standard im Tomatenanbau unter Glas. Allerdings brechen einzelne dieser Hummeln immer wieder aus und nisten sich so in Gebieten ein, in denen sie nicht heimisch sind – mit der Folge, dass sie einheimische Arten je nachdem sogar ausrotten. Besonders dramatisch ist die Situation in Südamerika, wo sich die Dunkle Erdhummel aus der Türkei massiv verbreitet.
Tomaten können roh verzehrt, geschmort, gratiniert, zu Saucen und Dips verarbeitet, eingelegt oder zu Konfitüre verkocht werden – die Einsatzgebiete sind überaus vielseitig.
So viel Tomate bei uns auf den Markt kommt, Geschmack haben nur wenige Früchte - Andreas Speicher («Buch der Tomaten», S. 30) erklärt das so: «Bei 90% der Tomaten handelt es sich um schwache pflanzliche Leistungen, weil der Mensch mit allerlei Manipulationen mehr für den Ertrag als für die Qualität getan hat.»
Unreife Früchte enthalten den Giftstoff Solanin, der in den grünen Partien der Frucht steckt. Oft liest man, dass aber Tomaten, die für Salate grün gezüchtet werden, diesen Stoff nicht enthalten würden. Andreas Speicher (S. 23) räumt mit dieser Vorstellung auf wenn er schreibt, dass Solanin auch in immergrünen Sorten enthalten sei.
First Publication: 18-8-2014
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