Der Tiger-Fugu (Takifugu rubripes, engl. Japanese puffer, Tiger puffer, japan. torafugu, chin. hóng qí dong fang tún, koran. cha-ju-pok) lebt im ganzen Nordwest-Pazifik, insbesondere auch vor Japans Küsten.
Der Tiger-Fugu wird bis 80 cm lang und hat einen rundlichen, gedrungenen Körper mit einem markanten Kopf. Sein Gebiss erinnert an einen Schnabel, die Zähne sind zu vier Zahnleisten verwachsen – daher laut Fishbase auch der Name der Familie: tetra (=«vier») odous (=«Zahn»). Er hat eine lederartige Haut, statt Schuppen kurze Stacheln. Der Tiger-Fugu hat keine Bauchflosse und bewegt sich vor allem mit Hilfe seiner Brustflossen, wobei Rückenflosse und Afterflosse auf eine eigentümliche Art mitschwirren. Der Schwanz dient als Steuerruder. Bei Gefahr kann sich der Tiger-Fugu aufpumpen, indem er Wasser in eine Art Magensack presst – dann stellen sich auch seine mit Widerhaken versehenen Stacheln auf. So sollen Angreifer abgeschreckt werden.
Der Tiger-Kugelfisch ist wie die meisten seiner Verwandten giftig. Das nach den Kugelfischen benannte Nervengift Tetrodotoxin findet sich bei ihm allerdings vor allem in der Leber und anderen Innereien. Es kommt weder in der Haut, noch in den Hoden vor (wie bei vielen anderen Mitgliedern der Familie) – und natürlich auch nicht im Muskelfleisch. Tetrodotoxin lähmt schon in kleinsten Dosen die Körpernerven, nicht aber das Gehirn. Laut Prof. Yuji Nagashima von der Technischen und meereswissenschaftlichen Universität Tokyo, der in John Wates «Fugu»-Film zu Wort kommt, nehmen die Fische das Gift vermutlich über Bakterien mit der Nahrung auf. Er erzählt auch, dass aggressive Kugelfische bei hoher Giftkonzentration in ihrem Körper ruhiger werden: «Der Fisch braucht das Gift, um emotional ausgeglichener zu werden».
Eines der berühmtesten Fugu-Opfer war Bandō Mitsugorō VIII, ein legendärer Kabuki-Schauspieler, der am 16. Januar 1975 mit Geisha und Freunden ein Restaurant in Kyoto besuchte. Ausnahmsweise wurden 4 g Fugu-Leber pro Person serviert. Bando ass auch die Portionen seiner Nachbarn – 16 g insgesamt. In der selben Nacht noch starb er. So wird die Geschichte auf jeden Fall in John Wates «Fugu»-Film erzählt.
Fugu werden mit Langleinen gefangen. Nach dem Fang werden dem Tier die Zähne gezogen, damit es seine Artgenossen im Tank nicht verletzt. Die Fangquoten sind offenbar rückläufig. Laut John Wates verzehren die Japaner jährlich 3 Millionen Tonnen Fugu, wobei mehr als 80% der Fische heute aus Aufzucht stammen. Da das Tier das Gift mit der Nahrung aufnimmt, können durch entsprechende Fütterung ungiftige Fugu-Fische gezüchtet werden. Der Tiger-Fugu ist jener Fugu, der am meisten gezüchtet und folglich auch am häufigsten verzehrt wird.
Hauptstadt des Fugu in Japan ist Shimonoseki, die südwestlichste Stadt auf Honshū, der Hauptinsel von Japan. Shimonoseki wird laut John Wates auch Fugu-City genannt. Für Restaurants ohne Personal mit Lizenz wird Fugu aus ganz Japan hier im industriellen Stil ausgenommen und küchenfertig versandt. 80% Prozent aller Fugus, die in Japan verzehrt werden, kommen aus Shimonoseki, wo der Fisch auch Fuku heisst, was Reichtum bedeutet.
Wer in Japan Fugu zubereiten will, muss vorher eine entsprechende Ausbildung zum Fugu-Meister absolvieren und eine ausserordentlich anspruchsvolle Prüfung bestehen. In Europa ist Fugu derzeit nicht zu bekommen – auch wenn Aussicht besteht, dass ungiftige Fugu-Fische dereinst auch zu uns gelangen könnten. In den USA gibt es einzelne Lokale, die Fugu anbieten dürfen, der allerdings in Stücken fertig vorbereitet aus Japan angeliefert werden muss. Vorerst sind wir also bei der Beschreibung von Charakter und Verwendung auf Erfahrungen im Fugu-Restaurant (Fugu Ryotei) angewiesen.
Wir haben unsere erste Erfahrung mit Fugu am 18. April 2013 im Restaurant «Fukuda» in Fukuoka auf der japanischen Insel Kyūshū gemacht. Das kleine Lokal liegt etwas versteckt in einer Gasse östlich des Tenjin-Bahnhofs. Auf dem Haus prangt unübersehbar die vergrösserte Tuschezeichnung eines Kugelfisches. Neben dem Eingang preist das Restaurant seine prestigeträchtige Frischware in einem Aquarium an: tai (Rote Meerbrasse) und torafugu (Tiger-Fugu). Im Innern des Lokals stehen schwere Holztische in einzelnen Nischen – die Atmosphäre ist eher rustikal, ohne allen Chichi.
Das Fugu-Menu kostet rund 80 Schweizerfranken pro Person, was für Fugu eher wenig ist. Zum Auftakt wird Fugu-Filet als Sashimi serviert – dünnste Scheiben, ausgelegt in der Form einer Chrysantheme. Das Zentrum der Blume wird aus gekochten Fleischstreifen und roher Haut gebildet. Das rohe Fleisch hat kaum ein erkennbares Aroma. Die Haut ist sehr dick, vielleicht etwa 3 mm, glibberig und manchmal durchsichtig. Zum Sashimi werden Ponzu-Sauce, Momiji oroshi, fein gehackter Schnittlauch und kleine Stücke Frühlingszwiebeln serviert. Die Kellnerin weist uns an, die Fugu-Scheiben um Stücke der Frühlingszwiebel zu legen und dann in einer Mischung aus Ponzu-Sauce, Momiji oroshi und Schnittlauch zu tunken.
In einem nächsten Schritt kommt warmer Sake au den Tisch, in dem gegrillte Fugu-Flossen schwimmen (Hirezake) – der Wein schmeckt nach Fisch, ob er aber dadurch wirklich gewinnt? Delikat schmeckt ein Eierstich (Chawanmushi) mit weichen Fugu-Stücken. Raffiniert ist auch eine Art Teigwarenbällchen mit Fugu-Füllung. Zwei Stück (mit Knochen) frittierter Fisch sind gerade so viel Ausbackteig, dass man es noch mit Vergnügen essen kann.
Nun wird ein Stövchen auf den Tisch gestellt, Wasser mit Kombu wird zum Kochen gebracht, dann gart die Kellnerin darin Chinakohl, Lauch, Shiitake, Chrysanthemen-Blätter, Karotte, Tofu, Reisnudeln und vorgekochte Stücke vom Fugu. Dieser Hot Pot (Fugu-Chiri oder Fugu-Nabemono) wird in kleinen Schälchen serviert.
Die überschüssige Flüssigkeit wird zum Schluss mit Ponzu-Sauce gewürzt, mit gekochten Reis vermischt, schliesslich mit einem Ei versehen und mit Schnittlauch bestreut. Dieses Congee (Fugu Zosui) bildet den Nahrhaften und komfortablen Abschluss des Menus.
Fugu-Rezepte werden wir auf diesen Seiten wohl vorderhand nicht anbieten. Aber wir haben versucht, etwas vom Geist eines Fugu-Menus in eine Zubereitung mit Schweizer Seefisch zu übersetzen, die wir kühn Felchen «Fugu style» nennen.
First Publication: 26-4-2013
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