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Früher wurde die Cervelle de Canut mit Pellkartoffeln als Hauptspeise gegessen – heute wird sie in den Restaurants von Lyon meist mit gerösteten Brotscheiben als Nachspeise aufgetischt. (Zürich, September 2015)

Cervelle de Canut

Frischkäse mit Kräutern und Gewürzen – ein Rezept zu Peter Polters Episoda 150912 Lyon Place Jean Macé

Die Cervelle de Canut gehört zu den grossen Klassikern der Küche von Lyon – und es gibt wohl kaum ein Bouchon, das sie nicht im Angebot führt. Auch wenn der Name anderes vermuten lässt, handelt es sich doch um eine ganz und gar vegetarische Speise, die aus Frischkäse, Kräutern, Öl, Wein, Essig, Knoblauch, Salz und Pfeffer angerührt – oder vielmehr richtiggehend geschlagen wird, weshalb die Cervelle de Canut auch den lautmalerischen Namen Claqueret trägt. Von einer etwas patriarchalen Tradition im Umgang mit dem Frischkäse berichten Félix Bénoit und Henry Clos-Jouve («La cuisine lyonnaise», S. 40): «[…] pour russir cette délicatesse, on choisit un fromage blanc ‹mâle›, c'est-à-dire pas trop mou, que l'on commence à battre ‹comme si c‘était sa femme›. Quand on a bien claqué le fromage, il devient claqueret!»

Das Rezept hat seine Wurzeln wohl in anderen Tunken auf Basis von Milchprodukten und Kräutern, wie sie in verschiedenen Ländern am Mittelmeer zubereitet werden – in Griechenland etwa unter dem Namen Tzatziki, in der Türkei als Cacık. Auch das indische Raita ist eng verwandt. Laut François Mailhes («Le carnet de cuisine de Lyon» S. 82) werden vergleichbare Gerichte auch in der Bresse und in der Loire gegessen.

In Lyon wird Paul Lacombe, der Küchenchef des Restaurants «Léon de Lyon», als der Erfinder der Cervelle de Canut gefeiert. Er machte das Rezept auf jeden Fall im frühen 20. Jahrhundert bekannt – wobei anzunehmen ist, dass in der Stadt auch vor Lacombe schon ähnliche Saucen angerührt wurden. Dafür spricht allein schon der Name der Spezialität, der an die Canuts erinnert, die für ihre Aufstände und Revolten berühmten Weber aus dem Quartier de la Croix-Rousse. Sie waren eine wichtige Inspirationsquelle für Theoretiker des frühen Industriezeitalters wie Karl Marx, den Anarchisten Pierre-Joseph Proudhon oder die Saint-Simoniens.

Einige lesen in dem etwas eigentümlichen Namen eine Erinnerung daran, dass die Käse-Speise den mausarmen Webern das Kalbshirn der Bourgeois ersetzte. Sie assen den Aufschlag als Hauptspeise, mit Kartoffeln dazu. Gemäss einer anderen Lektüre soll der Name indes die üble Meinung ins Bewusstsein rücken, welche die Bourgeoisie von den revoltierenden Arbeitern hatte – nichts als Käse im Kopf.

Gewöhnlich wird die Cervelle de Canut aus Frischkäse angerührt, der in Frankreich als Fromage blanc à la faisselle in den Geschäften steht – wobei faisselle das löchrige (Ton-)Gefäss bezeichnet, in dem der Käse traditionell von der Molke getrennt wird. Ausserhalb von Frankreich ist dieser Frischkäse nicht zu bekommen – wir weichen deshalb in unserem Rezept auf den eng verwandten Quark (Weisskäse, Topfen) aus, wobei man die Cervelle ebenso gut mit Mager- wie auch mit Halbfett- oder Rahmquark zubereiten kann.

Bénoit und Clos-Jouve geben in ihrem Kochbuch (S. 280) ein Rezept wieder, das Jean-Paul Lacombe für sie aufgeschrieben hat – in Erinnerung an seinen Vater Paul. Das Rezept kombiniert wörtlich: «2 fromages blancs, 30 g d'échalotes grises de préference, 75 g de persil simple au frisé, 75 g de cerfeuil, 75 g da ciboulette, 2 dl de crème fleurette, 1 dl d'huile d'olive, ½ dl da vinaigre de vin, ½ dl de vin blanc sec, sel, poivre.» Erst werden die Kräuter und Gewürze mit dem Weisskäse vermischt und tüchtig mit einer hölzernen Kelle verrührt (nicht mit einem Schneebesen, «car en fouettant énergiquement avec un fouet on obtient une Cervelle de Canut trop lisse.» Dann kommen Öl, Essig und Wein dazu – zuletzt wird die Sahne (crème fleurette) geschlagen und sorgfältig untergehoben. Wir haben dieses Rezept für etwas kleinere Tischgesellschaften angepasst – verzichten allerdings auf die Schlagsahne und auch auf den ausserhalb von Frankreich nicht ganz alltäglichen Kerbel.

Die Cervelle de Canut besteht aus einfachen Zutaten und ist schnell zusammengerührt. Wir servieren die erfrischende Sauce zu Brot oder Pellkartoffeln – gerne legen wir etwas Schinken dazu. In den Restaurants von Lyon wird die Cervelle de Canut heute grundsätzlich als Nachspeise gereicht – wir servieren sie eher zum Apéro und tischen nach dem Essen stärker gewürzten Käse auf. Je nach Rolle, welche die Cervelle in einem Menu spielen soll, kann man das Rezept gut abwandeln – es mit mehr Knoblauch schärfer oder umgekehrt milder, nach Belieben cremiger oder saurer machen.

Zutaten (als Vorspeise für 4 Personen)

250 g Quark (wir nehmen Magerquark)

1 Zehe Knoblauch, fein gehackt (oder gepresst, was seine Präsenz verstärkt)

1 kleine rote Zwiebel (35 g), fein gehackt

3 EL Petersilie, fein gehackt

2 EL Schnittlauch, in eher feinen Röllchen

1 EL Olivenöl

1 TL Rotweinessig

2 TL trockener Weisswein

½ TL Salz

½ TL weisser Pfeffer, fein gemahlen

Salz zum Abschmecken

Zubereitung

  1. Den Quark mit einer Holzkelle kurz kräftig durchrühren – bis er etwas weicher und cremiger wirkt.
  2. Knoblauch, Zwiebel, Petersilie und Schnittlauch beigeben, nochmals kräftig mischen.
  3. Olivenöl, Rotweinessig, Weisswein, Salz und Pfeffer einmengen – mit Salz abschmecken.

Wer es gerne reicher hat, kann zusätzlich etwas Crème fraîche beifügen – oder natürlich auch auf Lacombes Schlagsahne rekurrieren.

Fein gehackt – die Würzzutaten für die Cervelle de Canut. (Zürich, September 2015)
Zu Beginn der Zubereitung sollte der Quark kurz kräftig durchgerührt werden – so wird er geschmeidiger und cremiger.
Wir tischen die Cervelle de Canut gerne zum Apéro auf – hier mit rohen Gemüsestücken und ein paar kleinen Pellkartoffeln.
Die Cervelle de Canut, wie sie bei Chabert an der Rue des Maronniers in Lyon serviert wird – offensichtlich mit wenig frischen Kräutern. (November 2009)

First Publication: 24-9-2015

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