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Eine Qualle treibt durch blaues Wasser.

Langenthal - Orgie

Am Freitag, 12. November 2004 punkt Mitternacht, nach einer scharfen Inselsuppe, tragen Marianne Burki und Samuel Herzog im Treppenhaus des Kunsthauses Langenthal ein Lesestück von José Maria vor, in dem es um das Fressen und Gefressenwerden geht. Während ihrer kurzen Reden, die sich in Teilen auch überschneiden, steigen sie allmählich vom Erdgeschoss dieses ehemaligen Kaufhauses bis in die oberste Etage hoch. 

Plankton. Auf einem Stein, tief, ganz tief in der Bucht von Piebo, lebte ein kleines Plankton. Tag für Tag freute es sich an den Strahlen der Sonne, die sich in den Wassern über ihm brachen. Am Morgen kam es ihm vor, als treibe das Licht wie ein Nebel durchs Meer. Nachmittags schien die Karibik von messerscharfen Strahlen durchbohrt – und abends war alles voller Sterne. An einem besonders schönen Morgen sah das Plankton, wie ein karibischer Wasserfloh [Einsatz Wasserfloh] durch den Lichterdunst in seine Richtung segelte. «Sieh an», dachte das Plankton, «eine Daphnia pulex – ich dachte, die kommen nur in stehenden Gewässern vor.»

Wasserfloh. «Aha», lachte der Wasserfloh, «schon zahlt sich die kleine Reise in die etwas tieferen Tiefen aus. Was für ein herrliches Früh stück klebt da an dem Felsen unter mir: grün und frisch, bestimmt auch biologisch. Ganz nach meinem Geschmack.» Ein Happen nur und mit einem kleinen Rülpser hüpfte der Wasserfloh weiter von Stein zu Stein – so gut das eben ging. Denn Wasser ist ja nun gerade nicht ein Element, das sich besonders eignet, behüpft zu werden. Der Wasserfloh war ganz gerne ein Floh, das schon, und er wollte sich auf keinen Fall beklagen. Nur manchmal träumte er davon, ein Landfloh zu sein und mit der Geschwindigkeit eines Düsenjets durch die Luft zu zischen. Ein Landfloh oder noch viel besser so eine schöne, leuchtende Crevette [Einsatz Crevette] – wie jene, die da plötzlich neben ihm durchs Wasser glitt. «Welche Anmut», dachte der Floh. «was für eine unglaubliche Eleganz – und dann allein schon der Name, französisch, das zergeht einem ja förmlich auf der Zunge: «Cre-ve-te». 

Crevette. «Eigentlich», dachte die Crevette, und sie dachte es selbstverständlich mit einem französischen Akzent und rümpfte dazu ganz leicht die Nase: «Eigentlich mag ich um diese Urzeit noch keine Wasserflöhe – vor allem nicht in solcher Tiefe, da haben die immer einen etwas strengen Geschmack. Hätte mein Doktor mir nicht befohlen, mehr auf ein ausgewogenes Frühstück zu achten…» Eine fast etwas gelangweilte Bewegung des Kopfes – und der Floh war weg. «Igitt, was für ein klebriger Geschmack. Wusste ich es doch. Wenigstens trägt so ein Floh nicht zu sehr auf – und ist reich an Proteinen». – Aussenstehende wären wohl nie auf die Idee gekommen, diese Crevette hätte irgendwelche Probleme mit ihrer Figur – so leichtfüssig, wie sie da über den Meersboden trippelte. Doch das feine Tierchen war so beschäftigt mit seiner Linie, dass es den grossen Schatten der karibischen Makrele [Einsatz Makrele] nicht bemerkte, die sich schnell von der offenen See her näherte. «Wie viele Kalorien wohl so ein Floh hat?», überlegte sie: «Sind Proteine eigentlich wirklich gesund? Ich glaube beim Floh steckt das meiste Fett in den Schenkeln – die hätte ich wohl besser nicht essen sollen.»

Makrele. «Mager, mager», seufzte die Makrele: «Diese Crevetten haben ja einen delikaten Geschmack – aber sie sind einfach zu mager, wie soll da ein Erwachsener satt werden?» Wie ein Pfeil tauchte das Raubtier tiefer in das Wasser ein, geschickt nutzte es jede Deckung, um dann plötzlich aus dem Gestrüpp einer Seeanemone hervorzuschiessen – die Crevette hatte keine Chance. «Hoho», dachte der Makrelen-Mann: «Man nennt mich nicht umsonst den ‹Tiger der Meere›: Mutig, entschlossen und schnell musst du handeln – hast du die Beute erst einmal vor dir, darfst du nicht zögern», doziert er vor sich hin - und dabei wurde es ihm recht schwer ums Herz. Mein Gott, waren das Zeiten gewesen, als er Seite an Seite mit seiner kleinen Tigerin durch die Meere pfeilte. Die gemeinsame Jagd, das Teilen der Beute, die Schmusereien, all das fehlte ihm wirklich sehr. Ganz besonders erotisch war es immer gewesen, wenn sie einen kleinen Tintenfisch gefangen hatten: Mund an Mund, halb küssend, halb fressend, schlürften sie ihn in sich hinein. Doch jetzt war sie weg, seine kleine Tigerin, durchgebrannt - und dies ausgerechnet mit einem Vegetarier. Jetzt knabberte sie wohl irgendwo im Norden der Insel an ein paar Algen rum - Flosse an Flosse mit ihrem Softie.» – Nein, der grosse Knorpelfisch, der da plötzlich vor ihm stand und ihn aus seinen kleinen Augen musterte, der war kein Softie – und leider wohl auch kein Vegetarier. «Nur was hat dieser Katzenhai [Einsatz Katzenhai] hier in der Bucht von Pièbo verloren», fragte sich Herr Makrele: «jagt der nicht sonst im Süden der Insel, da wo die jungen Doktorfische spielen?».

Katzenhai. «Nein, eine Sardine ist das wohl nicht und auch keine Sardelle, die sind irgendwie kleiner. Auf jeden Fall ist es was Ausgewachsenes», überlegte der Katzenhai, bevor er mit einem unerwarteten Ruck auf die Makrele zuschoss und sie in der unteren Rückenpartie zu fassen bekam. Herr Makrele wehrte sich heftig, er warf sich hin und her, doch der Katzenhai liess nicht locker: «Haha, ja, du willst spielen, schön, spielen wir». Kurz liess er die Makrele los, nur um gleich noch kräftiger zuzubeissen, das Rückgrat zerbarst und mit ein paar geschickten Bewegungen beförderte der Hai seine Beute tiefer in den Schlund. «Verdammt noch mal, ist das ein zäher Hund», fluchte er während er auf dem Kopf der Makrele herumbiss, «da sind meine kleinen Doktorfischchen doch erheblich zarter. Aber irgendwie schlägt einem das mit der Zeit ganz schön aufs Gemüt, immerzu diese Kinder zu fressen.» Als wolle er seine Beute in dem Wasser weich klopfen raste der Katzenhai hin und her – eine hellorange Blutspur hinter sich lassend. So gelangte er, ohne es selbst zu merken, immer näher an das Ufer. Erst als er Herrn Makrele endlich runtergewürgt hatte, wurde er sich bewusst, dass er im flachen Strandwasser schwamm. Und jetzt sah er sie auch: «Schon wieder Kinder», dachte er, «das lässt mich einfach nicht los». Nun aber waren es Menschenkinder [Einsatz Menschenkinder] und sie kamen von allen Seiten auf ihn zu. Mit ihren Füssen wirbelten sie den Sand auf, so dass der Katzenhai bald nicht mehr sehen konnte, in welcher Richtung das offene Meer lag. «Was für ein Chaos ist das hier, ich muss weg.» 

Menschenkinder. «Lasst ihn nicht raus», schrie Pierre und sprang mit einem Satz mitten in den Ring, den seine Freund am Strand von Pièbo gebildet hatten. Zu ihren Füssen schwamm der Katzenhai immer kleinere Kreise. Grau und schwarz glänzte sein Körper in dem vom Sand getrübten Wasser. Pierre hob die dreizackige Harpune und stiess sie mit einem kleinen Schrei ins Wasser vor seinen Füssen. Eine Weile noch liess er den Fisch zappeln, drückte ihn mit der Harpune am Boden fest. Dann, als die Bewegungen schwächer wurden, zerrten sie das Tier ans Ufer.

Quallen treiben durch leuchtend blaues Wasser.

Siehe auch

First Publication: 11-2004 (vormals PJ081)

Modifications: 24-3-2009, 17-6-2011