D | E  

Neuste Beiträge

HOIO und Cookuk

  • Das Tagebuch von Raum Nummer 8 (Susanne Vögeli und Jules Rifke)
  • HOIO-Rezepte in der Kochschule – das andere Tagebuch

Etwas ältere Beiträge

Grosse Projekte

Mundstücke

Gewürze aus Santa Lemusa

Abkürzungen

Der Teufel und die schwarzen Bohnen

Der Teufel, der auf Santa Lemusa gefürchtet wird, hat wenig mit dem christlichen Belzebub oder Luzifer gemein. Er ist nicht rot, schwefelgelb oder schwarz, hat keine Hörner und keinen Schwanz in der Form eines Spiesses. Nein, Dyab-la sieht eher aus wie ein reicher Grossgrundbesitzer aus der Kolonialzeit: Er ist weiss und wohnt in einem grossen Schloss, das von einem immensen Park umgeben ist. Dieses Schloss liegt irgendwo auf dieser Welt, weit entfernt von allen Menschen. Doch der Teufel hat ein Pferd, das schnell ist wie der Blitz - kein Wunder, dass beim Schlag seiner Hufe die Funken sprühen. Der Teufel ist ein schöner Mann: Er ist ausgezeichnet gekleidet, meist in Weiss, trägt einen Panama-Hut, reichlich überaus kostbaren Schmuck und all seine Zähne sind aus reinstem Gold. Er spricht mit einer freundlichen Stimme und ist ausgesucht höflich, doch Widerspruch duldet er nicht.

Der Teufel hat nur zwei Gründe, sich mit den Menschen abzugeben: Seine sozusagen offizielle Aufgabe besteht darin, den kleinen Kindern naiver Mütter die Seele zu stehlen - eigentlich aber ist er vor allem hinter den Frauen her: Keine junge Schönheit ist vor ihm sicher – und wenn er lächelt, wenn er das Gold in seinem Mund zeigt, dann schmelzen die Herzen und der Verstand unweigerlich dahin. Bevor sich der Teufel eine Frau auswählt, die er dann mit einem Lächeln in seine Arme zwingt, sieht er sich sein Opfer ausgiebig an. Während sie schläft, gleichgültig ob nachts oder am helllichten Tag, schleicht er um sie herum und besieht sich jeden Winkel ihres Körpers. «Wenn es dich nachts kitzelt», so warnt man die jungen Frauen auf Santa Lemusa, «oder noch schlimmer, wenn du erregt aus deinen Träumen erwachst, dann war bestimmt Dyab-la bei dir, hat sein Atem deine Haut berührt. In diesem Fall sieh dich in den nächsten Tagen vor und pass auf, mit wem du redest.»

Jean-Marie Tromontis überliefert eine Legende, die früher offenbar vor allem zickigen Mädchen gerne erzählt wurde. Es ist die Geschichte einer tapferen Frau, deren Mann seit Jahren auf hoher See verschollen ist. Alleine zieht sie ihre zwei Kinder gross, den kleinen Jean (Ti-Jean) und La Romina – ein Mädchen von grosser Schönheit und noch grösserem Stolz. Die Mutter ist arm und würde ihre Tochter gerne verheiraten. Die junge Frau aber ist kapriziös und keiner ist ihr recht: Der eine ist zu hässlich, der andere zu arm, der dritte sieht zu dumm aus, der vierte ist zu ausgelassen, den fünften kann sie nicht riechen etc. etc. So etwas verdirbt den Ruf und bald munkelt man böse, die junge Frau sei ja «aristocrate comme une poule qui a le pian»*.

* Le pian ist eine chronische Infektionskrankheit, die bei Hühnern in den Tropen gelegentlich auftritt. Die Tiere haben dann Schmerzen an den Füssen und bewegen sich nur noch mit grösster Vorsicht – was so aussieht, als hielten sie sich für Damen der besseren Gesellschaft.

Die Verzweiflung der Mutter wächst von Woche zu Woche - und sie denkt bei sich, dass sie wohl nie einen Mann für ihre Tochter wird finden können. Auch La Romina ist enttäuscht und zieht sich immer mehr zurück. Meist sitzt sie jetzt über dem Dorf auf einem Felsen und starrt in die Landschaft hinaus. Stunde für Stunde, Woche für Woche – und die Hoffnungen auf den richtigen Mann schwinden allmählich dahin. - Eines Tages jedoch taucht am Horizont ein imposanter Reiter auf, der mit grosser Geschwindigkeit in Richtung Dorf galoppiert. Sein weisses Gewand glitzert hell in der Abendsonne, sein Panama-Hut sitzt kühn auf dem Kopf – ja und sein Zähne scheinen gar zu funkeln. La Romina stürzt hinab ins Dorf und in das Haus ihrer Mutter: «Das ist mein Gemahl, ich weiss es ganz bestimmt», sprudelt es aus ihr hervor: «Ihm will ich gehören, sein Weib will ich sein». – Minuten später steht der Reiter vor der Tür und stellt sich der Mutter vor: Er habe von der unendlichen Schönheit ihrer Tochter gehört und komme von sehr weit her, er habe es eilig und «i vin mandé mayé», er wünsche sich mit ihr zu verheiraten. Das ist zu schön, um wahr zu sein, sagt sich die Mutter - und sie wird das Gefühl nicht los, dass es da wohl nicht ganz mit rechten Dingen zugeht.

«Gib acht, meine liebe Tochter, dieser Mann ist vielleicht der Teufel. Sieh dir die anderen Männer an, wie die wirklich sind, der da ist viel zu schön und viel zu freundlich um ein Mensch zu sein». Doch die Tochter lässt sich nicht von ihrer Überzeugung abbringen und also hat die Mutter einer Idee. «Es gibt nur einen Weg, herauszufinden, ob er der Teufel ist oder nicht. Ich lass dich für einen Moment mit ihm allein und du gibst ihm dieses Glas Milch zu trinken, in dem eine ungekochte schwarze Bohne schwimmt. Wird die Bohne weiss, wenn sie mit seinen Lippen in Berührung kommt, dann ist er der Teufel und du musst die Finger von ihm lassen. Bleibt die Bohne aber schwarz, dann heirate ihn und werde glücklich». – La Romina tut, wie ihr geheissen. Doch ihre Gefühle für den Ritter sind so unendlich gross, dass sie keinerlei Risiko eingehen will. Also trinkt sie selbst das Glas mit der Milch. Und führt der Mutter freudig vor, dass die Bohne schwarz geblieben ist. Sie erhält den mütterlichen Segen, die Hochzeit findet noch in der selben Woche statt und der Reiter zieht mit seiner Frau davon. - Bald allerdings merkt La Romina, mit wem sie es in Wirklichkeit zu tun hat: Schon in der ersten Nacht unterwegs, die sie in einem kleinen Gasthaus verbringen, macht sich der Gemahl über die Wirtin her unstillbar ist sein Hunger nach Frauen.

Im weiteren Verlauf der Geschichte wird La Romina im Schloss des Dyab-la eingesperrt und muss ganz schreckliche Qualen erdulden. Zum Schluss aber wird sie gerettet – und zwar von ihrem kleinen Bruder Ti-Jean. – Auf Santa Lemusa gibt es eine zweite Figur, eine Art Teufelin, Lagyablès genannt. Sie ist nicht die Frau des Teufels, sondern repräsentiert vielmehr dessen weibliche Seite. Lagyablès ist eine wunderschöne, weisse oder mulattische Frau, die stets auf der Suche nach jungen Männern ist. Ihr Charme ist hypnotisierend und wer ihr nachts begegnet, wer ihr näselndes «bonsoir» hört, der braucht gar nicht erst davon zu rennen – sie ist ohnehin schneller. – Wer aber zufällig ein paar schwarze Bohnen in der Hosentasche hat, der strecke sie ihr hin – Lagyablès kann den Anblick dieser Samen nicht ertragen und wird wie der Blitz verschwinden. Eine andere Möglichkeit besteht darin, sein Hemd auszuziehen und es verkehrt herum wieder überzustreifen. «Ou ni chans va!» («Was für ein Glück du hast!»), wird sie böse lachen und sich verziehen.

Was mit den jungen Männern passiert, die sich auf ein Liebesabenteuer mit Lagyablès einlassen, ist nicht bekannt. Der Phantasie sind da keine Grenzen gesetzt, wie die diversen, erotischen bis pornographischen Texte belegen, die auf der Insel kursieren – sie werden Lagyablides genannt.

Siehe auch

  • Dyab-la – die schwarze Bohne mit dem weissen Kern, ein teuflisch dialektisches Früchtchen aus Samta Lemusa
  • Teuflische Geschichten: die lemusische Tradition der Lagyablides

First Publication: 2003

Modifications: 26-2-2009, 2-11-2011