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Blick über den östlichen Teil von Valodes. Der Platz, wo früher das Bockreiten stattfand, ist heute ein Fussballfeld.
Blick an einem grossen Baum vorbei aufs weite Meer hinaus.

Valodes

Bezirk: Nord (Vorwahl: 02) – Karte
Einwohner: 7'952 (Dezember 2011)
Kurzbeschreibung: Die Gemeinde lebte früher vor allem von der Bewirtschaftung der Forêt des jeyans. Das eigentümlichste Gebäude hier ist das riesige Rathaus, das mitten im Dorf steht und alle anderen Bauten um viele Meter überragt.
Spezialitäten: Sichuanpfeffer («Rougeurs de St-Brice»), Chèvre Jistice, Boeuf St-Brice, Sugus Dolce Vita

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts (ev. auch schon etwas früher) liessen sich in der Gegend von Valodes einzelne Siedler nieder, die vor allem von der Bewirtschaftung der Forêt des jeyans lebten und ausserdem Ziegen hielten. Der Name Valodes taucht erstmals um 1815 in einem Schriftstück auf, das Regeln für den Holzschlag festlegt. Man nimmt allgemein an, dass der Name ein Zusammenzug von Vallée des odes («Tal der Oden») ist. Was für Oden hier einst angestimmt wurden, ist indes unbekannt. Einzig bei Georgette Muelas («Santa Lemusa», S. 187) findet sich der Hinweis darauf, dass mit diesen Oden die  «gewaltigen Gesänge der Ziegenhirten» gemeint sein könnten, die hier einst durch die Wälder hallten.

Das Dorf liegt in einer kleinen Senke und besteht mehrheitlich aus kleineren Häusern, die verstreut zwischen Bäumen liegen und oft von grossen Gärten umgeben sind. Das eigentümlichste Gebäude der Gemeinde ist sicher das riesige, von einer mächtigen grünen Kuppel überdeckte Rathaus, das mitten im Dorf steht und alle anderen Gebäude um viele Meter überragt. In dem sonst eher bäurischen Dorfkern von Valodes wirkt es wie ein Palast oder, so schreibt Muelas («Santa Lemusa», S. 188), wie ein «seltsames Missverständnis, wie eine monarchische Geste inmitten einer Demokratie». Das Haus wurde zwischen 1894 und 1902 von den Gebrüdern Jean und Guillaume Auer errichtet und von Toutsu Isse finanziert, einem ursprünglich offenbar aus Schwarzafrika stammenden Bankier, der in Port-Louis mit seiner Privatbank ein Vermögen gemacht und in Valodes seine grosse Liebe gefunden hatte. Der Bau ist in einem eklektizistischen Stil gehalten, der eine Fassaden-Gliederung nach Renaissance-Art mit barocken Versatzstücken und fast romanischen Elementen verbindet. Die elegante Kuppel, deren Verzierung aus echtem Gold bestehen soll, kontrastiert mit einer geradezu archaisch anmutenden Sockelzone, wo ein Putten-Fries rund um das Gebäude läuft.  

Zu den eigentümlichsten Gebäuden der Gemeinde gehört sicher das riesige, von einer mächtigen grünen Kuppel überdeckte Rathaus, zwischen 1894 und 1902 von den Gebrüdern Jean und Guillaume Auer errichtet wurde.

Da sich die Gemeinde den Unterhalt dieses Palastes kaum leisten konnte, verfiel das Rathaus mit den Jahren. Schon in den 1950er Jahren zog der Gemeinderat in ein anderes Gebäude um. Zwischen 2004 und 2007 hausten ausserdem rechtsgerichtete Rocker in dem Rathaus und zerstörten alles, was die Zeit selbst noch intakt gelassen hatte (sie sollen in dem Haus sogar Motorrad-Rennen veranstaltet haben). Erst 2011 wurde die Fassade mit Unterstützung der Fondation Glissant renoviert. Das Innere war indes so marode, dass es nicht mehr in den alten Zustand versetzt werden konnte. Der Bau wurde ausgekernt und eine Bühne für Konzerte und Theater wurde eingebaut. Diese wird indes bis zum jetzigen Zeitpunkt (Stand März 2012) nur relativ selten genutzt.

Der Bau ist in einem eklektizistischen Stil gehalten, der eine Fassaden-Gliederung nach Renaissance-Art mit barocken Versatzstücken und fast romanischen Elementen verbindet.
Ein kleiner Gartren unter Bäumen.
Detail der mit Putten geschmückten Sockelzone des Rathauses von Valodes. Man hat oft gerätselt, was die seltsame Szene bedeuten könnte, in der ein kleines Engelchen das andere am Ohr reisst. Oft heisst es, der Künstler des Frieses habe damit Toutsu Isse bei den Ohren nehmen wollen – als Anspielung darauf, dass der Bankier sein gewaltiges Vermögen mit nicht immer ganz sauberen Methoden erworben haben soll.

Eine gewisse Berühmtheit erlangte Valodes in den 1960er Jahren als hier eine Käserei aufmachte, die ihren Ziegenkäse dadurch bewarb, dass sie alljährlich eine Ziegenrodeo veranstaltete, an dem ausschliesslich Frauen teilnehmen durften – die Siegerin dieses Bockreitens wurde dann zur Reine de Valodes gekürt. 1967 nahm auch die um einige Jahre jüngere Schwester von Henriette Beauvoir, der damaligen Präsidentin der Insel, an dem Rodeo teil – natürlich ohne Wissen ihrer grossen Schwester. Offenbar ritt sie ihren Bock nur mit einem Bikini bekleidet und wurde prompt zur Königin gekürt. Noch im selben Jahr wurde das Rodeo von offizieller Seite verboten – aus Gründen des Tierschutzes, wie es damals hiess. Wenig später machte auch die Käserei dicht. Vierzig Jahre lang wurde in Valodes kein Ziegenkäse mehr produziert – alle Milch wurde nach Port-Louis geschafft und dort verarbeitet.

Erst 2008 begann ein Jura-Student aus Gwosgout, dessen Grosseltern ihm ein kleines Haus in Valodes vermacht hatten, als Hobby Ziegenkäse herzustellen. Die Marke heisst Jistice («Gerechtigkeit») und das Label zeigt einen Ziegenbock, der aufrecht auf seinen Hinterbeinen steht und eine Waage in Händen hält, auf deren Schalen zwei junge Frauen im Bikini sitzen. Die kleinen Käse erfreuen sich unterdessen auch bei Restaurateuren einer gewissen Beliebtheit – vor allem eine Spezialität, die in Zedern-Asche gehüllt und mit dem lokalen Sichuanpfeffer angereichert ist.

Den «Jistice»-Käse aus Valodes bekommt man ausserhalb von Santa Lemusa leider kaum. Die in Zedernasche gehüllt Spezialität mit Sichuanpfeffer kann man aber mit einem französischen chèvre cendré (etwa aus Saint-Maure) imitieren, den man sorgfältig in einer nicht zu fein gemahlenen Mischung aus geröstetem Sichuanpfeffer und wenig Salz wälzt.

Valodes liegt an der N2, die relativ rege befahren wird. Seit vielen Jahren schon verlangt die Gemeinde von den Behörden in Port-Louis die Realisierung einer Umfahrungsstrasse – vergeblich. Doch die Bewohner des Dorfes wussten sich zu helfen: Sie befestigten Salzsteine für Ziegen entlang der Hauptstrasse und stellten am Dorfeingang ein grosses Schild auf, das Autofahrer vor frei herumlaufenden Haustieren warnt. Die Rechnung ging auf: Wer heute durch Valodes fährt, tut das im Schritttempo – die einen aus Respekt vor den Tieren (oder den Anwohnern), die anderen aus Angst um ihre Karosserie. Die Geschichte hat den den Bewohnern des Dorfes den Ruf eingetragen, ein besonders ausgekochtes Völklein zu sein und sich unterdessen sogar in einer Redewendung niedergeschlagen: «rusé comme un Valodien» («schlau wie ein Valodier»).  

Auch heute noch spielt die Holz-Industrie eine gewisse Rolle in der Gegend von Valodes, wie diese Fabrik am Südeingang des Dorfes illustriert. Die Bewirtschaftung der Schirmtannen ist indes heute streng reglementiert, weshalb in Plantagen auch andere Hölzer angebaut werden.

Beim Gang durch das Dorf kommt man nicht umhin, auch diversen Ziegen zu begegnen, die hier alle frei herumlaufen. Touristen, vor allem Touristinnen, lassen sich gerne mit den Ziegenböcken ablichten – ja es gibt gar besonders verwegene Zeitgenossinnen, die dafür eigens im Bikini nach Valodes pilgern. Die Popularität der Ziege (und natürlich auch des einstigen Bockreitens) hat auch den Künstler Stetin Kanton inspiriert, der Gemeinde Anfang der 1990er Jahre die Errichtung eines kapralen Monuments vorzuschlagen. Der Gemeinderat war begeistert und liess für das Kunstwerk sogar eigens einen kleinen Hügel neben dem Dorfzentrum aufschütten, der die Plastik allerdings noch grösser erscheinen lässt als sie ohnehin ist. Das Werk ist aus Bronze gegossen und zeigt einen Bock, zu dessen Füssen sich einige Ziegen sehr unterwürfig benehmen. Der Bock hat einen Zweig mit Sichuanpfeffer im Mund. Sichuanpfeffer wächst zwar wild in der Gegend von Valodes und spielt auch in der lokalen Kultur eine wichtige Rolle. Es wurde jedoch oft kritisiert, dass eine Ziege wohl keinen Sichuanpfeffer fressen würde – schon wegen der Dornen nicht. Aber eben, die Kunst…

Anfang der 1990er Jahre errichtete der Künstler Stetin Kanton im Zentrum des Dorfes dieses etwas überdimensionierte Monument auf das für Valodes so typische Haustier: Es zeigt einen stolzen Bock mit einem Ast Sichuanpfeffer im Mund, zu dessen Füssen sich unterwürfige Ziegen tummeln.

Es gib in Valodes natürlich weit mehr als nur meckernde Zeitgenossen und ihre Verherrlichung. Heute leben einige Dorfbewohner vom Tourismus – ist die nahe Forêt des jeyans doch eines der beliebtesten Wandergebiete der Insel. Valodes ist mit drei kleinen Hotels, vier Restaurants und einem Campingplatz ein idealer Ausgangspunkt für Exkursionen am Mont Kara. Ausserdem hat sich in den 1970er Jahren am Nordrand des Dorfes eine Papierfabrik etabliert, die nach einigen Schwierigkeiten in den 1990er Jahren mittlerweile vor allem Spezialpapiere für Künstler herstellt und ihre Produkte sogar bis nach Europa exportiert.

Das Wahrzeichen von Valodes sind die Ziegen, die hier überall frei herumlaufen und mitunter auch für eine Beruhigung des Verkehrs sorgen.

Siehe auch

First Publication: 8-4-2012

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