Tartar aus magerem Kalbfleisch mit Olivenöl, Knoblauch und Zitrone – ein Rezept zu Peter Polters Episoda 131005 Barolo La Morra
In traditionellen Restaurants im Piemont werden gewöhnlich wenigstens vier kleine Antipasti aufgetischt – meist nicht gleichzeitig, sondern in Folge. Eine dieser Vorspeisen ist häufig Carne cruda – eine Art Tartar aus Kalbfleisch, das indes nicht mit Eigelb angerührt wird, sondern mit Olivenöl und ein bisschen Zitrone.
Die Qualität einer Carne cruda hängt unserer Ansicht nach in erster Linie von der Frische ihrer Zubereitung ab. Rohes Kalbfleisch hat zwar kein allzu prägnantes Aroma, aber eine glatte und zugleich auf ganz spezielle Art faserige Konsistenz – und eine wunderschöne hellrosa Farbe. Das Aroma der Carne cruda stammt in erster Linie vom Olivenöl, das deshalb wirklich von bester Qualität sein muss. Ja die Carne cruda eignet sich auch für Experimente mit unterschiedlichen Ölen, die in der Umarmung mit dem rohen Fleisch ihre Muskeln besser spielen lassen können als sonst. Erst in zweiter Linie ist der Flavour der Carne cruda auch von Knoblauch, Pfeffer und Zitrone mitbestimmt – werden all diese Aromastoffe doch sehr zurückhaltend eingesetzt.
Eine Zubereitung der Carne cruda im letzten Moment vor dem Verzehr ist besonders wichtig wegen der Zitrone. Bleibt das Fleisch zu lange in Kontakt mit der Säure, beginnt es zu ‹kochen› und wird dabei weiss und krümelig. Aus demselben Grund sollte man auch nur wenig Zitrone an die Carne gebe – in vielen Rezepten, vor allem aus den USA, ist die Dosis viel zu hoch und führt beim Fleisch innert kürzester Zeit zur Denaturierung des Eiweisses.
Piemontesische Rezepte empfehlen, das Fleisch mit einem schweren Küchenmesser (also al coltello) klein zu hacken oder eben zu schlagen (battere). Wahrscheinlich kann man auch einen Fleischwolf (grobe Scheibe) verwenden – sofern das Gerät keine Hitze entwickelt. Auf keinen Fall sollte man es mit dem Mixer versuchen, der das Fleisch im Nu in eine weisse schleimige Masse verwandelt. Kauft man erst kurz vor dem Essen ein, kann man auch den Metzger bitten, das Fleisch durch seinen gekühlten Fleischwolf zu geben – wenn er über eine solche Maschine verfügt.
Wir ziehen es indes vor, aus der Zubereitung der Carne cruda eine kleine Performance für unsere Gäste zu machen – und fühlen uns dabei ein wenig wie ein Sushi-Meister in einem japanischen Restaurant. Wir lassen uns das Fleisch vom Metzger in möglichst dünne Scheiben schneiden, was die Sache leichter macht. Kurz vor dem Essen bringen wir dann ein grosses Brett, unser eindrückliches chinesisches Küchenbeil, und alle Zutaten für die Carne cruda zu Tisch – und legen vor den Augen unserer Gäste los. Der Prozess hat auch eine gewisse Schönheit weil die Ingredienzien am Schluss mit der Hand vermischt werden – und sich die Tafelfreunde also bewusst werden müssen, was hier eigentlich geschieht, wie es diese Hand ist, die sie nährt, verführt, im besten Fall ein wenig glücklich macht. Näher können Sie ihren Gästen als Koch kaum kommen.
Natürlich spielt auch die Wahl des Fleisches eine wichtige Rolle. Traditionell wird meist ein Stück vom Eckstück genommen, das in der Schweiz auch Bäggli heisst und in Deutschland Oberschale genannt wird. Das Fleisch sollte sehr mager sein, fette Stellen müssen gegebenenfalls entfernt werden. Im Piemont wird die Carne cruda natürlich meist aus dem Fleisch des berühmten Fassona-Rindes zubereitet – diese kräftige Rasse mit ihrem hellen Fell soll schon seit Hunderten von Jahren in der Gegend gezüchtet werden.
Laut einem Slow-Food-Kochbuch kann die Carne cruda in der Saison mit Streifen von Steinpilzen, Kaiserlingen oder Trüffeln belegt werden – Parmesan, Ess-Oliven etc. gehören hingegen nicht zur Tradition (Armando Gambera: «Ricette di Osterie di Langha». Bra: Slow Food Editore, 1992. S. 17).
Zur Carne cruda passt frisches Weissbrot am besten.
200 g mageres Kalbfleisch, zum Beispiel vom Eckstück (Bäggli), in feinen Scheiben
1 kleine Knoblauchzehe (4 g), gepresst oder sehr fein gehackt
1 knapper TL Salz
½ bis 1 TL schwarzer Pfeffer, fein gemahlen
1 knapper EL Zitronensaft
1 EL Olivenöl
Olivenöl zum Beträufeln
First Publication: 18-10-2013
Modifications: