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Logbuch der «PS Narina»

Tag 35

Luft- / Wassertemperatur: 25°C (21°C nachts) / 18°C

Windrichtung / Bft: Südost / 2-4

Gebiet: MAGNA INSULA (Können Bäume nach Schweiss riechen?) – Seekarte der Reise

Kombüse: Lachsforelle (1 kg) ausnehmen, abspülen und trocken tupfen. 600 g Ratte-Kartoffeln in etwa 3 cm grossen Stücken in eine Backform geben, 4 dl heisse Hühnerbrühe darüber giessen und 15 Minuten bei 220º backen. 250 g spanischen Pimientos de Padrón der Länge nach halbiert und entkernt, 250 g Datterini-Tomaten, 2 dl Weisswein, Zeste von 1 Zitrone, 20 g flache Petersilie in groben Stücken, 2 kleine scharfe Chilis entkernt und fein gehackt, Salz und Pfeffer zu den Kartoffeln geben, alles gut vermischen. Fisch salzen, pfeffern und ½ Zitrone in Scheiben in die Bauchhöhle klemmen. Fisch auf das Gemüsebett legen, etwas Olivenöl darüber träufeln, 25 Minuten bei 220º im Ofen backen. (Weitere Rezepte vom Smut der «PS Narina»)

Beobachtungen

Wenn ich am Morgen aufwache, dann liegt meist eine Art Schleim auf meinen Augen, der mich alles in leichter Unschärfe sehen lässt. Ich muss mir dann die Augen reiben, um die verschiedenen Flüssigkeiten an den richtigen Ort zu dirigieren. Das gelingt nicht immer gleichermassen – manchmal schieben sich Inseln aus zähem Schleim immer wieder so in meinen Blick, dass sich die Welt hartnäckig ihre Unschärfe bewahrt. Besonders oft allerdings geschieht mir dies in Träumen: da reib ich mir die Augen oft lange vergebens, da kriege ich den Blick manchmal einfach nicht klar. Ich frage mich, warum das in meinen Träumen eine solche Rolle spielt? Da kann ich fliegen und Piratenschiffe steuern, mit den blossen Füssen Skifahren und schwimmen wie ein Fisch – nur den Schleim kann ich mir nicht aus dem Auge reiben.

Als ich heute früh an Deck trat, da hatte ich noch den ganzen Schleim des Schlafes auf meinen Augen. Mitten in dem grossen Glitzern der morgendlichen Welt erkannte ich Oskar, der mit Mühe etwas wie einen riesigen Ast über die Reling schleifte. Das Ding baumelte von seinem Mund über die halbe Bordwand und schien so schwer, dass es ihn immer wieder beinahe nach unten riss. Ich rieb mir die Augen und als ich sie endlich frei bekam, erkannte ich, dass es ein langes schwarzes Haar war, mit dem Oskar sich abquälte.

Wo kam es her? Ich selbst habe blonde Haare, die allmählich eine aschgraue Farbe annehmen – ausserdem sind sie eher kurz. Hatten wir in der Nacht eine heimliche Besucherin an Bord? Aufregend. Aber wenig wahrscheinlich. War das Haar von Beginn weg mit an Bord gewesen? Ebenfalls kaum denkbar, habe ich das Schiff doch seit unserer Ablegung mehrfach gründlich geputzt. Ich verstehe das Haar so wenig wie ich die verklebten Augen in meinen Träumen verstehe – weshalb ich dazu neige, die zwei Dinge in derselben Realität zu verankern. Da muss etwas auf meinem Schiff geschehen sein, das ich nicht gesehen habe und von dem ich mir auch keine Vorstellung machen kann: dieses etwas hat das Haar an Bord gebracht. Die Welt eines Papierschiffs ist sehr überschaubar, sie ist ein völlig logischer Zusammenhang, ein Kosmos, der im Grunde keinerlei Überraschungen generiert – das Haar aber beweist, dass es auch in dieser Welt trübe Stellen gibt, die sich mir entziehen. Man könnte das Haar deshalb leicht für ein göttliches Zeichen oder gar Wesen halten und entsprechend verehren – Religionen leben ja von dem, was der Augenschleim verdeckt. Allerdings frage ich mich auch, was wohl Oskar mit dem Haar im Schilde führt – so wie er sich anstrengt, muss es ihm wichtig sein. Vielleicht aber sind es auch bloss seine Triebe, die ihn dazu bringen, irgendetwas zu transportieren – auch wenn es nirgends ein Nest zu bauen und keine Königin zu füttern gibt? 

Oder ist das Haar gar kein Haar? Hat sich Oskar heimlich aus Staub eine Leine gestrickt, mit der er sich aus unserer Zweisamkeit abseilen will?

Nächster Tag (36)

First Publication: 24-3-2013

Modifications: 9-4-2013, 11-11-2014