Wie anders sähen wir die Welt, würden wir alle Dinge gleichermassen ernst nehmen, die uns bei ihrem Anblick einfallen. Was für ein Glück, hat uns die Schöpfung einen überaus wirksamen Filter eingebaut, der laufend alle unpassenden Einfälle aus dem Fenster unserer Geistesstube wirft. Gelegentlich allerdings zirpt es leise in der nächtlichen Wiese, die unsere helle Verstandeskammer umgibt. Dann meldet sich der Verdacht, dass der eine oder andere dieser entsorgten Einfälle vielleicht doch auch eine gewisse Verbindung mit der Welt für sich hätte beanspruchen können. Schliesslich wissen wir ja im Grunde, dass uns nichts ganz unmotiviert in den Sinn kommt – auch das absurdeste Einfällchen nicht.
Wenn wir in Krakau, der alten Königs- und Universitätsstadt im Süden von Polen, an Papst Johannes Paul II. denken, dann ist das natürlich alles andere als unpassend. Ja es ist im Grunde nicht einmal ein Einfall, eher schon so etwas wie ein Überfall oder ein Anfall – denn Karol Józef Wojtyła, der im nahen Wadowice zur Welt kam, ist omnipräsent in der Stadt. Aus Anlass seiner Seligsprechung etwa wurden die Kirchen feierlich beflaggt und Altäre mit seinem Bild geschmückt. Am Fuss des Wawel, des grossen Burgfelsens der Stadt, haben die Behörden zu seinen Ehren eine aufwendige Freiluftausstellung eingerichtet, in der Burg- Kathedrale hat er jetzt seine eigene Kapelle – und wer es noch genauer wissen will, der kann auf dem offiziellen Jan-Paweł-II-Rundgang durch die Stadt mäandern. Kein Wunder, legt sich einem beim Gang durch Krakau das schönste Wort der katholischen Liturgie andauernd wie eines jener überweichen Krakauer Caramels auf die Zunge: beatificatio, die «Glücklichmachung». Wer sich das im Munde zergehen lässt, spürt sogleich in sich selbst etwas Seligkeit.
First Publication: 22-2-2012
Modifications: 20-6-2013