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Die Vorderseite der Visitenkarte, mit der HOIO das Projekt «Le Bonheur» bewarb.

Le Bonheur

Mit dem Projekt «Le Bonheur» begibt sich HOIO auf die Suche nach dem Glück – nach dem kulinarischen Glück notabene. Es geht um jenes Tremolo der Seele und des Gaumens, das durch die Erinnerung an dampfenden Spargel oder chinesisch marinierte Entenbrust, durch den Gedanken an in Schokolade gegartes Wildschwein oder Feigenkompott ausgelöst wird. Das Projekt umfasst zwei Videofilme und eine Reihe von Porträts.

Höchste Konzentration. In dem ersten Videofilm «Le Bonheur I – Les 200 plats de S.» beobachten wir einen Mann bei einem Akt höchster kulinarischer Konzentration. Im Vorfeld hat er eine Liste von zweihundert Speisen und Getränken erstellt, die für ihn mit ganz bestimmten Erinnerungen verknüpft sind. Die Namen all dieser Leckereien wurden ihm dann im Rahmen einer dreissigminütigen Performance von zwei Frauen vorgelesen. Manche der Speisen waren den beiden wohlvertraut, andere hingegen waren ihnen mehr oder weniger fremd – und also bewegten sie auch die Namen einiger Gerichte wie exotische Speisen in ihrem Mund. Während der Lesung hat der Mann versucht, sich mit geschlossenen Augen möglichst vollständig auf die genannten Leckereien zu konzentrieren. Wie aber reagiert das Gesicht auf die Nennung von Speisen? Führen Erinnerungen zu Veränderungen der Mimik? Findet mit der Zeit eine Art Sättigung statt? Oder wird umgekehrt der Hunger gefördert?

Mit geschlossenen Augen. Für das Projekt war es wichtig, dass Herzog während der ganzen Zeit die Augen geschlossen hielt. Denn über die Augen sammeln wir nicht nur visuelle Eindrücke – mittels der Augen drücken wir uns auch aus. Die Augen und ihr Spiel bestimmen wesentlich unsere Mimik. Wenn wir sie aber schliessen, dann wissen wir plötzlich nicht mehr genau, was wir mit unserem Gesicht ausdrücken, mitunter verlieren wir gar das Gefühl für unsere eigenen Züge. Diese Erfahrung hat auch Samuel Herzog gemacht als er sich auf sein kulinarisches «Bonheur» zu konzentrieren versuchte: «Kaum hatte ich die Augen geschlossen, merkte ich, dass mir die Kontrolle über meine Mimik mehr und mehr entglitt. Ich versuchte, nicht explizit auf die Nennung der einzelnen Speisen zu reagieren und spürte, wie ich sogar den Mund ein wenig zusammenkniff. Trotzdem passierten andauernd irgendwelche Dinge auf meinem Gesicht – da zuckte ein Muskel, dort schoss plötzlich eine Augenbraue hoch, mal musste ich mir die Lippen benetzen oder ich musste lächeln. Mit der Zeit kam mir mein Gesicht mehr und mehr wie ein Bildschirm vor, auf dem sich Reaktionen zeigten – lange bevor die genannten Speisen und Getränke in meinem Bewusstsein Gestalt annehmen konnten.»

Kulinarischen Vorlieben. Nach einem ähnlichen Prinzip wie das erste Video funktionieren auch die Porträts. In kleinen Gesprächen erkundigt sich HOIO nach den kulinarischen Vorlieben diverser Passanten und Sympathisanten. Anschliessend sind die Gesprächspartner aufgefordert, sich im Rahmen einer kurzen Übung ganz auf eine Speise zu konzentrieren, die für sie mit Glück beim Essen verknüpft ist – mit geschlossenen Augen natürlich. Während dieser Übung werden sie mehrfach porträtiert. Zum Abschluss wählen sie eines dieser Bilder aus, das dann durch einige Angaben zur Person ergänzt und auf dem Internet publiziert wird. Zwischen dem 30. Oktober 2005 und dem 18. April 2008 entstehen so 200 kulinarische «Bonheur»-Porträts mit Texten in Deutsch und Englisch. Die nicht publizierten Fotos, die während einer solchen Sitzung entstehen, werden fortlaufend in einen Videofilm integriert («Le Bonheur II»).

 

Abschaltung der«Bonheur»-Website

Im Zeitalter von Facebook und Co. scheint die bildliche Repräsentation des Individuums auf dem Internet immer noch (oder jetzt erst recht) eine äusserst problematische Angelegenheit. Verschiedene Interview-Partnerinnen und Partner treten an HOIO mit der Bitte heran, ihre Porträts aus der Serie zu entfernen. Die Gründe sind leicht unterschiedlich – zumeist allerdings nennen sie die Furcht, dass sie mit den geschlossenen Augen «dumm» oder «nicht seriös» aussähen oder sogar von Dritten darauf angesprochen worden seien, warum sie sich denn mit geschlossenen Augen hätten porträtieren lassen. Insgesamt legen die Reaktionen vieler Beteiligter die Vermutung nahe, dass die bildliche Repräsentation im www – aller scheinbar so unbekümmerten Netzöffentlichkeit zum Trotz – weit stärker Normen unterworfen ist als man annehmen würde. Da sich die Bitten um Rückzug einzelner Porträts häufen, entschliesst sich HOIO im März 2009, das ganze Projekt vom Netz zu nehmen (natürlich auch das Video «Le Bonheur II»). Als Beispiel dafür, wie die einzelnen Porträts einst ausgesehen haben, bleibt eine einzige Seite online - jene vonHektor Maille, der sich bereit erklärt hat, «im Dienst der Kunst» seine kulinarische Glücksfantasie weiterhin mit der Welt zu teilen.

Siehe auch

 

 

First Publication: 12-2005 (vormals PJ102)

Modifications: 25-3-2009, 4-11-2011